Liebenswert: „Meine Tochter will ein Junge sein“
„Was mache ich, wenn meine Tochter eigentlich ein Sohn ist?“
Das sagt die Psycho- und Sexualtherapeutin Bettina Brückelmayer
Claudia vermutete vor dem Outing zunächst, dass Antonia lesbisch ist. Hat Transidentität auch gleich etwas mit der Sexualität zu tun?
Nicht unbedingt. Die Sexualität ist an sich unabhängig davon, ob man sich im falschen Körper fühlt. Ein Transmann als auch eine Transfrau kann nach dem Outing sowohl hetero‑, homo- oder bisexuell sein. Oder keins der drei. Alles ist möglich. Oftmals wird aber eine Transidentität eben nicht sofort erkannt und damit abgestempelt, dass die betroffene Person lesbisch oder schwul ist.
Wenn ein Mädchen plötzlich Jungskleidung anzieht, hören Betroffene oftmals „Das ist nur eine Phase“ – was halten Sie von dem Spruch?
Den Spruch würde ich in jedem Fall unterlassen. Prinzipiell zeigen Kinder oftmals gegengeschlechtliches Verhalten auf. So zeigen Mädchen Interesse an Sport und Raufereien und haben vielleicht keine Lust, weibliche Rollen bei „Vater und Mutter-Spielen“ zu übernehmen oder haben auch weniger Interesse an Puppen. Auch Jungs können sich mit eher mädchenspezifischen Dingen beschäftigen. Sie sind gerne mit Mädchen beisammen und tragen gerne Frauenkleider.
Dieses Verhalten zeigt jedoch keine sexuelle Erregung. Dieses Verhalten bei Kindern kann in der Adoleszenz, also mit Ende der Jugend, auch nachlassen und es entwickelt sich nicht immer zum Transsexualismus. Viele weisen später eine homosexuelle Orientierung auf.
Dann gibt es auch noch den „Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechterrollen“. Hier wird nur gegengeschlechtliche Kleidung getragen, das nennt sich cross-dressing. Den Wunsch einer Geschlechtsangleichung gibt es nicht. Es geht hier nur um die zeitweilige Erfahrung der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht. Aber solche Sprüche würde ich wirklich streichen. Denn es ist keine Phase.
Wie sollte man sich als Elternteil verhalten, wenn sich das eigene Kind als trans outet?
Wenn das Kind nun den Mut fasst und sich und anderen eingesteht: „Ich bin im falschen Körper gefangen“, dann sollte das Kind auch wirklich ernst genommen und ihm zugehört werden. Man sollte einfühlsam sein und auch mal nachfragen: „Wie fühlt es sich denn an?“
Außerdem würde ich als Elternteil nach einem Therapeuten oder Psychologen suchen, der dem Kind dann weiterhelfen kann bei der entscheidenden Phase. Auch wenn es um das Thema Geschlechtsanpassung geht. Und dann auch mit dem Kind dort hingehen und zeigen: Ich bin da für dich.
Für Eltern gilt es dann, die Transidentität des Kindes anzunehmen und sich auch nicht zu fragen: „Habe ich etwas falsch gemacht?“ Denn dem ist einfach nicht so. In den meisten Fällen ist Transidentität natürlich.
Wie gehen Sie in Therapiesitzungen auf Betroffene ein?
Ich stelle vor allem essenzielle Fragen wie: „Wie stellst du dir das Leben mit dem anderen Geschlecht vor?“ Aber ich beschäftige mich auch in den Sitzungen mit Thematiken wie „Gehe ich nun auf die Damen- oder Herrentoilette?“ Außerdem begleite ich die transidente Person auch bei den Fragen: Wann und wie nehme ich eine Namensänderung im Pass vor, bis hin zur Hormontherapie.
Was macht man als Mutter oder Vater, wenn es aus dem Verwandtenkreis negative oder gar transphobe Kommentare hagelt?
In den Fällen, die ich bisher betreut habe, hat das nähere Umfeld bisher überwiegend immer gut reagiert. Aber wenn Verwandte transphobe Kommentare äußern und mein Kind wäre betroffen, wollte ich diese Menschen nicht mehr in meiner und vor allem in der Nähe meines Kindes haben. Freundeskreise verändern sich häufig schon, aber die direkte Familie nimmt das Outing fast immer gut auf. Bis auf einen Fall, in dem die Mutter eines transidenten Menschen völlig aufgelöst und überfordert zu mir kam und auch meinte, das gehe gar nicht und wenn das rauskomme, müsse die Familie auch das Dorf verlassen, in dem sie leben.
Wie lange dauert eigentlich im Schnitt der Prozess der Transition, also der Weg des Übergangs?
Das kann ganz unterschiedlich sein und hängt immer von der betroffenen Person ab. Manche wollen etwa nur eine Namensänderung, andere gleich eine Hormontherapie und wieder andere wollen auch eine geschlechtsangleichende Operation vollziehen. Es ist so viel Zeit notwendig, bis die Betroffenen bereit sind für alle Schritte. Durchschnittlich kann man ganz grob sagen, dass der Prozess etwa drei bis vier Jahre dauern kann. Man kann aber auch sagen, dass es besser ist, wenn man den Prozess – also die Hormontherapie so früh wie möglich beginnt.
Wieso? Gibt es mit zunehmendem Alter ein höheres Risiko?
Es gibt an sich kein Risiko außer, dass man es später vielleicht bereut. Auch nicht altersbedingt – eher, dass es das Umfeld vielleicht schwieriger aufnimmt, weil man vielleicht schon verheiratet ist oder Kinder hat.
Wenn man einer Hormontherapie ins Auge fasst, sollte man nur im Hinterkopf behalten, dass man Stimmungsschwankungen bekommen kann. Bei der Einnahme von Testosteron – also bei der Transition von Frau zum Mann – spürt man womöglich, dass man aggressiver wird. Hingegen kann es beim anderen Fall, also wenn Mann zur Frau werden möchte und Östrogen einnimmt, zu Depressionen führen.